Digitale Schule: Der Weg ist (zunächst) das Ziel

Der Schulstart nach den Sommerferien ist in weiten Teilen der Republik erfolgt und voller Besorgnis blicken wir auf die täglichen Infektionszahlen und fragen uns: Wie lange geht das gut? Was passiert, wenn die Kinder wieder zurück in das Homeschooling geschickt werden? Denn Hand aufs Herz: Beim Thema Distanzunterricht ist über die zurückliegenden Monate kein echter Fortschritt zu erkennen.
Noch immer stehen Staat und Schulen den Herausforderungen eines präsenzfreien Unterrichts relativ ungerüstet und hilflos gegenüber und drücken gemeinsam kräftig die Daumen, dass dieser Kelch heuer doch an ihnen vorüber gehen möge.
Wollte man es allein an der technischen Ausstattung aufhängen, könnte man sich der Zahlen bedienen, die der WDR zum Schulstart in NRW in der vergangenen Woche publiziert hat. Demnach verfügen die Schulen in den knapp 400 Kommunen des Bundeslandes über einen Laptop auf 30 Schüler sowie ein Tablet auf zwölf Schüler. Wobei in diesem Zusammenhang allerdings keineswegs von einer Gleichverteilung der Geräte unter den Kommunen die Rede sein kann. Stattdessen lässt sich ein deutliches sozial-digitales Gefälle im einwohnerstärksten Bundesland konstatieren.
Nimmt man zudem Glasfaser-Anschlüsse als Indikator für eine ausreichend starke Internet-Anbindung der Schulen, können damit laut Studie in NRW derzeit nur rund ein Drittel aufwarten. Keine Frage also: Beim Thema „Digitale Schule“ existiert hierzulande eine beträchtliche, technische Hürde, für die nicht nur finanzielle Mittel – wie sie der Digitalpakt ja bereitstellt – notwendig sind, sondern auch eine entsprechende administrative Infrastruktur nebst Personal erst aufgebaut werden muss.
Beim Thema Distanzunterricht sind diese Hemmnisse im Grunde aber zu vernachlässigen, geht es doch darum, die Schüler abseits der schlecht ausgestatteten Lehranstalten sinnvoll, leistungsfördernd und motivierend zu beschulen. Und da ist die Versorgung mit Endgeräten und Internet, wenn auch leider nicht überall, so doch in den meisten Haushalten deutlich ausreichend gegeben. Allerdings hat der Lockdown hier eine ganz andere Mangelerscheinung gnadenlos deutlich zutage gefördert: Die mangelhafte bis ungenügende Medienkompetenz der Lehrer sowie die unzureichende Organisation der Schulen, wo immer es um die Nutzung von Onlineangeboten und Tools, um die Abstimmung von Umfang und Inhalt der fachspezifischen Wochenaufgaben sowie um die Förderung und Überprüfung von Schülerleistungen ging.
Warum präsentieren sich Schulen außerhalb ihrer etablierten Strukturen nahezu arbeitsunfähig, während es vielen Unternehmen – entgegen aller Erwartung – im Lockdown innerhalb kürzester Zeit gelang, neue Homeoffice-Angebote und -strukturen für ihre Mitarbeiter zu schaffen und zu etablieren? Ist das am Ende vielleicht einfach auch eine Frage der Mentalität?
In der uns latent innewohnenden Gewissenhaftigkeit, haben wir offenbar noch gar nicht entschieden, ob wir den Pfad der digitalen Schule überhaupt betreten wollen, der von anderen Nationen bereits seit Jahrzehnten konsequent bereist wird. Schließlich gilt es soviel zu bedenken und eine Vielzahl schier unendlicher Risiken sorgsam gegeneinander abzuwägen.
Neben der fehlenden Infrastruktur in den Schulen, dem bereits erwähnten Ressourcenmangel sowie der dringend schulungsbedürftigen Lehrerschaft, benennt Rainer Stadler in seinem Beitrag „Tablet statt Tafel“ für das SZ-Magazin zwei weitere Gründe, die seitens der engagierten Bedenkenträgerschaft gern ins Feld geführt werden: 1. Die mit der Anschaffung eines Endgeräts möglicherweise verbundenen Kosten für die Eltern 2. Der Verlust der Bildungsfreiheit, wenn man sich im Rahmen der Digitalisierung aus unterschiedlichen Gründen dem Einfluss der Industrie verschreibt. Und last but not least geht es natürlich am Ende vor allem um die Inhalte, deren Erstellung – unter Berücksichtigung von zeitgemäßen didaktischen und methodischen Anforderungen – in verschiedenen kritischen Einlassungen schnell in die Nähe der Unmachbarkeit gerückt wird. Verblüffend, dass sich so viele Schüler bereits heute bei verschiedendsten YouTube-Tutoren wie „Lehrerschmidt“, „Sommers Weltliteratur“ etc. oder auf Lernportalen wie sofatutor, scoyo und Co. didaktisch und methodisch recht gut abgeholt fühlen.
Keine Frage, auf dem Weg zur digitalen Schule gilt es vieles zu bedenken und berücksichtigen. Aber doch wohl nicht wirklich die Frage, ob es am Ende noch eine Lösungsalternative dazu gibt. Der Lehrmittelanbieter Betzold hat in einem redaktionellen Beitrag „Tablets in der Schule“ zum Thema sehr anschaulich und ausgewogen einen möglichen Weg zur Tablet-Einführung in einer Schulklasse mit vielen konkreten Tipps aufgezeigt.
Und genau in diese konkrete Diskussion über das „Wie“ und nicht länger über das „Warum“ sollten wir in Deutschland schnellstens kommen. Es genügt nicht, einen Sack Geld bereit zu stellen, wenn niemand dazu in der Lage ist, es auch in Anspruch nehmen zu können. Wer für sein Geld berechtigter Weise ein Medienkonzept von den Schulen einfordert, der soll auch Wege aufzeigen, wo diese Hilfe bekommen können, um es zu erstellen. Alles andere ist Augenwischerei. Insbesondere, wenn der Antragsteller seine mangelnde Medienkompetenz bereits vielfach attestiert bekommen hat. Wir verfügen in unserem Land über so viel Kompetenz und Exzellenz in allen angesprochenen Problemfeldern, dass es eigentlich ein Leichtes sein sollte, endlich den Pfad zu einem innovativen und zeitgerechten Bildungsangebot aufzunehmen und diesen zu entwickeln. Stattdessen hängen wir uns träge an Bildungs- und Erziehungsrudimente der preußischen Elementarschulen aus dem 19. Jahrhundert.
Es spricht wenig dafür, dass wir den Anschluss an moderne Bildungssysteme in einem zentralistischen Akt bewältigt bekommen. Vermutlich wird dies nicht einmal auf der Ebene der Bundesländer zu leisten sein. Trotzdem sollten wir uns jetzt auf den Weg machen und ganz pragmatisch und – gerne auch kritisch reflektierend – alternative Angebote entwickeln. Vielleicht ja auch ganz konkret auf der Ebene der Kommunen mit der entsprechenden regionalen Unterstützung.
In Dänemark beispielsweise haben sie es so gemacht. Konkret in Aabenraa. Bereits in den neuziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Und dann auch andernorts. Für einen Bruchteil des bei uns bereitgestellten Geldes. Ganz pragmatisch und Schritt für Schritt. Heute steht in jedem Klassenraum ein Smartboard und alle Schüler sind mit einem Laptop unterwegs, wie der Beitrag von Ulrich Halasz: „Digitale Schule: In Dänemark ist die Kreidezeit längst vorbei“ anschaulich beschreibt, ohne dabei zu vergessen, dass es vor allem auch die konzeptionelle Grundlagenarbeit, der gezielte Medienwechsel sowie die Medienkompetenz der Lehrer sind, die das Modell am Ende erfolgreich machen. In Sachen digitaler Medienkompetenz „hat das Land“, laut Prof. Birgit Eickelmann von der Uni Paderborn, „eine Eins plus mit Sternchen“. Als Leiterin der Schulleistungsstudie ICILS hat sie Schülerinnen und Schüler in insgesamt 14 Staaten untersucht.
Natürlich sind uns die skandinavischen Musterschüler Dänemark und Finnland bis auf Weiteres erst einmal enteilt. Anders als diese, müssen wir heute aber auch nicht bei der Stunde Null starten. Unsere Kinder verfügen zu beinahe 100% über Smartphones sowie viele über weitere Endgeräte und eine – wenngleich inhaltlich oft limitierte – so doch beträchtliche Medienkompetenz. Es gibt eine unendlich große Zahl an digitalen Angeboten zur Weiterbildung, die sich im freien Wettbewerb gegenüber den Schülern bereits heute behaupten können und von denen sich vieles lernen lässt. Es gibt Händler, Dienstleister und Verlage, die bereits hinreichend Erfahrung in der Entwicklung digitaler Angebote sammeln konnten. Auf diese Pfunde können wir bereits bauen. Schwieriger wird da schon der notwendige Strukturwandel in den Lehrerkollegien zu bewältigen sein. Diese mitzunehmen und für die neuen Anforderungen zu motivieren sowie die Lehrerausbildung grundsätzlich den veränderten Gegebenheiten anzupassen, könnte sich als der größte Flaschenhals einer neuen, digitalen Bildungslandschaft erweisen. Doch auch das sollte sich mit vereinten Kräften und innovativen Angeboten lösen lassen. Mit dem entsprechenden Aufwand und damit verbundenen Kosten. Aber um es frei nach John F. Kennedy zu sagen: „Es gibt nur eins, was auf Dauer teurer ist als Bildung, keine Bildung.“ Und die Medienkompetenz – in all ihrer Vielfalt und ihren unterschiedlichen Ausprägungen – wird eine der zentralen Anforderungen an unsere Kinder als die künftigen Erwerbsträger sein. Und damit möglichlicherweise das wichtigste Kapital unserer Gesellschaft in der nahen Zukunft.
Autor: Ralf Koyro